DIE RENATURIERUNG DES RETINA-BESITZERS
von Elisabeth von Samsonow
Katalogtext (Auszug) 2004
- Ikonologie:
Was ist ein Bild, was ist ein Licht, was ist ein Gegenstand ?
Man könnte eine Linse auch als eine Vorrichtung auffassen, durch welche hindurch Welt angesaugt werden kann. Folglich müßte man, um besonders viel Welt zu fangen, die Linse nicht nur, wie das andere Photographen tun, irgendwelche Hundertstel Sekunden lang öffnen, sondern man stellt den Apparat mit geöffneter Linse wie der Großwildjäger seine Falle (die er mühsam auf dem Rücken ins Gebirge geschleppt hat) auf und wartet. Daß das größte aller Wesen hineingeht, das Licht. Die Photographien von Martin Eiter sind keine ‚Augenblicke’ , sondern Situationen, die durch die geöffnete Linse hindurch auf das empfindliche Papier fluten. Augenfällig ist dies in den Arbeiten, die einen Gebirgsbach zeigen, zum Hologramm verwackelt, der sich um als Dunkelheiten sichtbare Steine als Liniengewirr manifestiert, oder in vom Sturm gezausten Fichten, in den weißen Schnüren die Bildformate durchziehen und am Ende nichts anderes sind als ‚fallender Schnee’. Die Konstellation aus wahrnehmendem Künstler, Photoapparat und Objekt kommt in diesem Verfahren zu einer neuartigen Bedeutung, indem nämlich die Subjekt-Objekt-Gegenüberstellung nicht mehr automatisch vom Subjekt her definiert werden kann. Dieses geduldige Hinwarten und dieser fast plastisch w. vielschichtig erscheinende Lichtauftrag auf dem Photopapier (überflüssig zu sagen, daß Martin Eiter noch nicht einmal daran denkt, in das Lager der digitalen Photographie überzuwechseln) erzeugen eine Interferenz von Photograph und Photographiertem, die beide in einem Bildakt, um diese Vereinigung einmal so zu nennen, aufgehen läßt. Jedenfalls sieht man Subjekt und Objekt wie gleichstarke Sumo-Ringer ineinander verhackt, woraus dieser Zen-Moment jener Ruhe, jener Dauer oder kreativer Pause entsteht, der durch in Summe einander aufhebender Kräfte möglich wird. Bis hierher haben wir einmal den photographischen Akt, also den technischen Akt der Bilderzeugung beschrieben, der seine exakte Korrespondenz in der ontologischen Ladung der Photographien Martin Eiters – man will am liebsten Photo-Ontographien (Aufzeichnungen vom Sein des Lichts) sagen – hat. Aber wir haben jene Ebene unterdrückt, die den in der Dunkelkammer über die magischen Papiere gebeugten Photographen zeigt, welcher dort natürlich selektiv und interventionistisch hinsichtlich Belichtungsdauer, Körnung, Schärfe etc. operiert. Jeder weiß, daß dieser Arbeitsschritt ebenso entscheidend ist wie der von uns so genannte ‚Bildakt’, daß er ebenfalls einen ‚Bildakt’ darstellt, und trotzdem gibt es nur ausgesprochen nüchterne theoretische Dunkelkammerprosa. Nur der Retuscheur kann da noch Punkte machen, und das auch nur, weil er, der allgemeinen Auffassung nach, unter die sensationsträchtige Gattung der Fälscher gehört. Das, was er tut, ist deshalb aufregend, weil er die Onto-Photographie durchkreuzt, weil er die Photo-Ontographie nicht will, sondern das Konzept sehen lassen, hinter dem das sich treu entwickelnde Photo irgendwie zurückgeblieben ist. Der Photo-Ontograph im Labour hingegen ist nichts so Sensationelles – und trotzdem verrichtet er Bedeutsames. Martin Eiter ist gewissermaßen aus dem theoretischen und praktischen Dunkel der Dunkelkammer herausgetreten und hat der photographischen eine malerische Praxis zu ihrer Erklärung zur Seite gestellt. Die Bilder, die zu diesen Photographiengehören (oder ist es umgekehrt?) ähneln ihnen wie Geschwister: man sieht graue Töne, weiße, in allen nur denkbaren Abstufungen, sich auf diesen Bildern fleckenartig ausbreiten; sie sehen aus wie lebendig gewordene Farbkarten zu diesen Bildern – und sind in der Tat viel eher das, als ‚abstrakte’ Bilder. Sie sind nicht abstrakt, weil sie von Nichts abstrahieren; es handelt sich um Bilder, die sich präsentieren, als kämen sie aus einer Sphäre, in der es überhaupt keine Gegenstände gibt, nur die Schwarz-Weiß-Tonigkeit. Es ist eine Malerei der Dunkelkammer. Sie tritt uns als Tafelbild, auf Keilrahmen aufgespannt, gemalt oder geschüttet, entgegen. Sie wirkt zart und zögernd, sie ist die Suche nach einer Ikonologie dieser Photo-Ontographie. Erst wenn sich die Photographien und Bilder gegenüberstehen, sieht man die innere Kooperation zwischen dem Licht und dem Photographen. Erst wenn die Gleichartigkeit der Äußerungen und ihre Synchronisierung zur Darstellung gefunden haben, wird klar, um welche bildlogische Operation es sich bei der Kunst von Martin Eiter handelt. Es kommt einem so vor, als verstünde man nun besser, weshalb in Wien ein Kunsthistorisches und ein Naturhistorisches Museum einander gegenüberstehen und sich ineinander spiegeln. Aber es ist nicht mehr die romantische Idee einer erst in der Kunst zu sich selbst kommenden Natur, die hier im Spiel ist. Es bilden vielmehr diese einander zugeordneten Bilder, die unterschiedlichen medialen Horizonten angehören, eine Art bildhafter Reflexion, eine Bildlogik aus, die die Autonomie des Bildes immerhin soweit zu sichern bemüht ist, als sie das Wesen eines Bildes bzw. eines bestimmten Mediums innerhalb des Horizonts des Bildlichen zu klären sich anschickt. Aus diesem Grund kann man diese Bild-Konstellation, zu den Martin Eiter gefunden hat, als eine hypothetische Ikonologie verstehen, die tatsächlich Bilder durch Bilder ‚entwickelt’ und kommentiert. Es werden also keine Theologien aufgerufen, wie dies Louis Marin und viele andere in Bezug auf die zeitgenössische künstlerische Bildproduktion tun, es wird kein Unsichtbaren zitiert, das dann ein Medium für seine Erscheinung hingehalten bekommt (wie dies in der von Georges Didi-Huberman untersuchten Geisterphotographie in den Anfängen der Photographie der Fall war). Es wird das Photo in den Spiegel eines gemalten Bildes gehalten und umgekehrt, wodurch klar wird, in welcher Weise und auf welcher ästetischen Ebene ein sehender Künstler, mit einer lichtempfindlichen Retina ausgestattet (der eigentlich als Retina-Besitzer in das Kontinuum der ‚matiére nerveuse’ gehört), mit dieser Natur kooperiert. Er kooperiert nämlich mit ihr, indem er auch malt. Ich hatte schon gesagt, daß die Photographien von Martin Eiter Photo-Ontographien seien, um damit auszudrücken, daß ihnen sehr wohl noch die magische Aura anhaftet, die die Pioniere der Photographie an ihr wahrgenommen und herausgestrichen hatten. Das im Entwicklerbad schwimmende Photopapier ähnelt nun der in ihren Lasuren badenden Leinwand.
The Renaturation of the Retina-Owner
1.Iconology:
What is a picture, what is light, what is an object?
A photographic lens might also be considered as an intake device to suck in the world. In order to suck in as much of it as possible, the lens would consequently have to be opend not for a few split seconds only, as is done by other photographers; rather, the camera would have to be set up with the lens open, as an iron cage trap is set by the big-game trapper (after having carried it on his back all the way up into the mountains), to lure in the biggest of beings, light. Martin Eiter’s photographs are not ’instants’, but situations that pour themselves onto sensitive paper through the opend lens. This becomes particulary obvious in the works showing a mountain stream – blurred into a hologram – which manifests itself as a tangle of lines around stones discernible as dark spots, or in storm-ruffled spruce trees, in strands of white running through the picture which turn out to be nothing but ’falling snow’. The configuration of perceiving artist, camera, and object gains a new significance in this procedure, as the juxtaposition of subject and object is no longer automatically defined from the subject’s perspective. This patient waiting and this almost sculptural, or layered, application of light to photo paper (needless to say that Martin Eiter would not even consider changing over to digital phptography) creates an interference of photographer and photographed, which makes them merge in the pictorial act, if we may so call this unification. In any case, we see the subject and object interlocked like sumo wrestlers of equal strength, which brings on that Zen moment of stillness, that prolonged instant or creative intermission which is made possible by the equilibrium of offsetting forces. So far, we have for one thing described the photographic act, the technical act of image production, which has its exact correlate in the ontological charging of Martin Eiter’s photographs – one is tempted to call them photo-ontographies (recordings of the very essence of light).But we have disregarded the level of the photographer bending over the magic papers in his darkroom, where he operates with manipulative selectiveness with regard to exposure, grain, focus etc. Everybody knowsthat this step in the process is as crucial as the one that we have called the ’pictoral act’; that it is in fact a ’pictorial act’ in its own right, and yet, theoretical darkroom-work studies remain characteristically prosaic.The only one to score at least some points here is the retoucher, and only so because he belongs, by general opinion, to the somewhat sensationalist species of forgers. What he does is exciting because he thwarts photo-ontography; he does not want to bring out the photo-ontography; he does not want to bring out the photo’s ontography, but the underlying concept that a truthfully developed photograph would somehow fall short of. By comparison, the photo-ontographer in his lab is nothing sensational – and yet what he does is of considerable significance. In a way, Martin Eiter has stepped out of the darkroom’s theoretical and practical dark, juxtaposing photographic practice with an elucidative painterly one. The paintings that belong to these photographs (or is it the other way round?) resemble them like siblings: we see hues of grey, of white, in all imaginable shades, spreading in patches; they look like color cards of these pictures come alive – and in fact, that is what they are, rather than ’abstract’ paintings. They are not abstract, since they abstract from nothing; they are images that present themselves as if coming from a sphere where no objects exist, only black-and-whiteness. This is darkroom painting, confronting us as easel paintings, on stretchers, painted or poured. It appears delicate and reluctant; it is the search of an iconology of this photo-ontography. And it is only when photographs and paintings are juxtaposed that the inner cooperation between light and photographer becomes visible. Only when the likeness of articulation and their synchronization are given representational expression, it becomes clear what kind of pictorial logic Martin Eiter’s art operates on. Now, it seems, one can more easily understand why, in Vienna, a Museum of Art History and a Museum of Natural History stands across from one another, mutually reflecting each other. What comes into play here, though, is no longer the Romantic idea of nature coming to itself in art. Rather, these correlative pictures, which belong to different media horizons, formulate a kind of pictorial reflection, a pictorial logic that seeks to secure the autonomy of the picture, at least insofar as it attempts to account for the nature of a picture, or a specific medium, within the horizon of pictoriality. Thus, the picture constellations that Martin Eiter has arrived at can be understood as a hypothetical iconology which actually ’develops’ and comments picture by pictures. There are no theologies invoked here, as is done by Louis Martin and many others with regard to contemporary picture production, nor is the invisible conjured forth and offered a medium to make ist appearance (as happened in the spirit photography in the early times of the medium which was critically examined by Georg Didi-Huberman). The photo is held up to the mirror of the painting, and vice versa, which makes it clear in which way, and on which level, the seeing artist, provided with a light-sensitive retina (who, as a retina owner, actually would rather be part of the ’matiére nerveuse’, cooperates with nature, namely by doing also painting. I said before that Martin Eiter’s photographs are photo-ontographs, so as to say that they still have something of that magic aura about them which the pioneers of the medium observed, and emphasized, in photography. The photo paper in the developer bath now resembles the canvas bathed in washes of color.
Translation: Michael Strand