SICHTBARKEITEN
Ein Gespräch über Fotografie und Malerei von Martin Eiter mit Johanna Hofleitner
JH: Deine künstlerische Arbeit besteht eigentlich aus zwei Elementen: da gibt es einerseits die Fotografie, andererseits die Malerei. Wie beurteilst du für dich das Verhältnis dieser beiden Medien zueinander? Stehen sie zueinander in einer Beziehung? Oder handelt es sich um zwei voneinander vollkommen unabhängige Dinge?
ME: Im Grunde sind es zwei separate Dinge, aber es gibt eine Verbindung, am ehesten das Schauen. Sie sind auf jeden Fall gleichwertig. Es gibt ja viele Maler bei denen die Fotografie der Malerei vorausgeht als eine Art medial vermittelter Realität, oder umgekehrt Fotografen, die sich auf das Tafelbild beziehen. Mir geht es nicht um eine derartige Vermittlung, die gegenseitige Beeinflussung findet auf einer grundsätzlicheren Ebene statt. Aber ich denke, man muss nicht unbedingt beides machen, um das Thema zu behandeln.
JH: An was für ein Thema denkst du da?
ME: An kein Thema im eigentlichen Sinn, aber eine Unterschiedlichkeit in Bezug auf Darstellung. Beim Foto gibt es immer eine reale Vorgabe, beim gemalten Bild ist die Malerei selbst das Reale, es ist hier nicht notwendig von einem Gegenstand auszugehen während man sich beim Fotografieren diesem nicht entziehen kann. Die Voraussetzungen sind also ganz anders, aber die Gegensätze ergänzen sich. In der Malerei versuche ich thematische Vorgaben zu vermeiden. Mir ist wichtig, dass sich eine offene, eine nicht-eindeutige Situation ergibt. Zugleich entkommst du dem aber auch nicht. Die Formen, die Flächen und Flecken sind ja als Vokabular der Malerei sehr lesbar.
JH: Bringt das die Malerei der Fotografie näher – im Sinn von Referenzen?
ME: Es gibt sehr klare Unterschiede, das eine haptisch, stofflich und real, das andere viel flacher – ein Foto ist eigentlich wie eine illusionistische Projektionsfläche. Gemeinsam und ganz unterrschiedlich ist auch der Umgang mit Zeit: ein Foto braucht ein paar Zehntel Sekunden Das Malen ist ein viel längerer Prozess, eine längere Dauer mit verschiedenen Schichten übereinander.
JH: Wenn für dich Fotografie und Malerei gleichwertig sind, ist das eine Art Kompensation? Fängt das eine Medium etwas auf, was das andere nicht leisten kann? Und: Besteht die Herausforderung darin, sich zwei Aufgaben zu stellen, die letztlich doch in Beziehung zueinander stehen?
ME: Wenn du visuell denkst und arbeitest, findest du Bedingungen und gehst darauf ein, beim Malen sind das ganz andere Bedingungen als beim Fotografieren, zugleich greifen die Interessen ineinander. Ein Ping-Pong das man gar nicht so genau benennen kann.
JH: Dennoch sind es schon in der Entstehung verschiedene Ansätze. Es handelt sich bei der Malerei und Fotografie ja nicht um zwei Medien, die das gleiche erreichen wollen...
ME: Nein, natürlich nicht. Bei der Fotografie gibt es ein sehr konkretes Außen: der richtige Ort, die richtige Zeit.
JH: Du hast vorhin vom visuellen Denken gesprochen. In welchem Verhältnis steht deine Fotografie für dich zur Kunst?
ME: Es geht mir dabei nicht um konstruierte Themenstellungen. Die Bilder sind genauso Material, visueller Ausgangspunkt und Ausschnitt, wie eine Landschaft – eine Umgebung, die mir vertraut ist und eine Form von Blick, so ergeben sich neue Bilder. Ich lasse sie auf mich zukommen, von daher ist das Thema immer das gleiche, unabhängig von Sonne oder Nebel.
JH: Malerei mit Fotografie?
ME: Das würde ich so nicht sagen. Nicht als malerische Fotografie. Mich interessieren mehr die Grundlagen, was passiert vor den Bildern. Was ist ein spezieller Moment? Aber sicher bin ich vom Zugang her, auch biografisch, eher Fotograf. Ich bin kein Maler, der die Fotos zu den Bildern macht.
JH: Aber auch nicht einer, der die Bilder zu den Fotos macht ...
ME: Es geht eher um Erfahrungen und Emotionen. Von der Fotografie kommt vielleicht das Gefühl für den Ausschnitt, ein bestimmter Umgang mit der Fläche der zugleich ein sehr zeitliches Moment darstellt Es gibt jedenfalls Anknüpfungspunkte in beide Richtungen.
JH: Die Umgebung, in der deine Fotos entstehen, ist die seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten vertraut. Macht dich diese Vertrautheit freier?
ME: Ich tu mir leichter. Die vertraute Landschaft muß ich nicht porträtieren. Ich will auch nicht bestimmte Plätze hervorheben. Sie sind Umgebung, in der ich eine bestimmte Präsenz finde. Diese muß sich dann in einem anderen Kontext, in einer Hängung erweisen: welche Verbindungen geht ein Foto ein?
JH: Aber unabhängig vom Kontext – sei es der einer Ausstellung oder, wie hier, der Raum des Mediums Zeitschrift – handelt es sich dennoch um Landschaften ...
ME: Ja, aber weil die Landschaft gegeben ist. Und ich bin ein Beobachter und schaue – sehr genau.
JH: Was ist das Spezielle dieser Landschaften? Eine ähnliche fotografische Herausforderung könnten doch auch andere Sujets bieten.
ME: Sicherlich. Es ist ein sehr persönlicher Zugang.
JH: Gibst du deinen Arbeiten Titel?
ME: Selten. Es sind höchstens Zusatzbezeichnungen.
JH: Für die eigene Unterscheidbarkeit?
ME: Ja.
JH: Dennoch gibt es wiederkehrende Momente und Themen. Wie auch in diesen Artist Pages geht es immer wieder um Berge, Wasser, Licht, Luft ...
ME: Wasser ist eine sehr ideale Fläche für Fotografen.
JH: Warum?
ME: Weil es Licht reflektiert. Dinge spiegeln kann. Dinge umdrehen kann. Intensiver machen und verdoppeln kann. Es erzeugt eine Unwirklichkeit. Etwas Zeitloses.
JH: Geht es darum, von der Wirklichkeit als etwas Gegebenem wegzukommen und ihre Ambivalenz aufzuzeigen?
ME: Die Wirklichkeit ist an und für sich sehr ambivalent. Für mich ist das eine ständige Frage und eine Auseinandersetzung: Was ist Wirklichkeit? Sie verändert sich ja, ist nicht fassbar. Da bewege ich mich drum rum – auch in der Zeit. Die verändert sich ja auch, die Sekunde selbst ist nicht sichtbar. Ohne ein Wissen von der Kamera kannst du das nicht sehen.
JH: Möchtest du mit deinen Fotos diese Ambivalenz, Mehrdeutigkeit, Nicht-Fixierbarkeit sichtbar machen?
ME: Das ist schon ein wichtiger Aspekt. Diese formale Beschäftigung mit der Landschaft gibt mir wichtige Anregungen. Aber dabei interessiert mich nicht, dass ein Bergrücken massiv und statisch ist. Viel mehr beschäftigt mich seine Sichtbarkeit: wie er sich verflüchtigt und verändert ... Es ist mir wichtig, dass man ihn nicht als monolithischen Koloss wahrnimmt. Ich versuche das aufzulösen und zu negieren. Es geht mir um die Kippe innerhalb der Sichtbarkeit. Innerhalb dieser Flüchtigkeit ist das Bild gleichzeitig wieder eine Ort.
JH: Heißt das, dass du als Methode auch Mittel wie beispielsweise die Unschärfe einsetzt, um auf diese Flüchtigkeit hinzuweisen?
ME: Diese Unschärfe entsteht nur durch die lange Belichtungszeit. Ich mache nie ein unscharfes Foto, arbeite aber mit langer Belichtung, mit hoher Blende und aus der Hand, ohne Stativ. Damit ist im Foto unweigerlich auch meine Bewegung vorhanden. Mich interessiert Genauigkeit nicht dahingehend, dass die Realität exakt abgebildet wird. Genauigkeit heißt für mich vielmehr, dass du eine Vorstellung davon bekommen kannst, was ich heute, jetzt, in der Situation erlebt habe. Ich kann ja nicht vorgeben, was man letztlich sieht.
JH: Du wählst also Momente einer bestimmten Situation – beispielsweise einer Wanderung aus...
ME: Wenn ich fotografieren gehe, sind es meist keine großen Wanderungen. Die Kamera ist zu schwer. Aber dass ich gehe, mich bewege in der Landschaft, im Gebirge ermöglicht erst diesen Umgang mit Abbildung. Vor allem das Gefühl für einen bestimmten Moment, man muss dabei schnell und geduldig sein.
JH: Deine Aufnahmen sind eigentlich ziemlich menschenleer. Die eine Fotografie, auf der eine junge Frau und ein Hund abgebildet sind, bildet hier fast eine Ausnahme.
ME: Es ist nicht unbedingt ein festes Prinzip. Es gibt einige wenige Fotos mit Personen. Was mich an dieser speziellen Situation, die du da angesprochen hast, interessiert hat , ist dass beide – der Hund ebenso wie das Mädchen – auf das Wasser hinausschauen. Ins Blaue. Ich schaue den beiden beim Schauen zu. Es was ein glücklicher Zufall – die Verdoppelung, die Sichtbarmachung des Blicks.
JH: Könnte man sagen, dass das Sehen überhaupt ein Thema deiner Arbeit ist, ein Thema, das du auf unterschiedlichen Ebenen verhandelst?
Das Sehen ist sozusagen evident. Oft ist das Gesehene aber nicht fassbar, verschwindet gleich wieder. Damit kommen die flüchtigen Elemente wie Wasser und Luft ins Spiel. Das Bild baut auf einem Kontinuum der Bewegungen auf.